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Reha

Nachdem ich zehn Tage zu Hause war, die Medikamenteneinnahme bereits zum Alltag gehörte, habe ich meine Reha angetreten. Meine Kraft hat nicht einmal dazu ausgereicht ein paar Stufen zu steigen. Ich bekam direkt Luftnot und war ziemlich schnell außer Atem.

 

Mein Ziel stand fest:

Ich muss mein Herz langsam wieder etwas fitter bekommen.

Bevor ich entlassen werde schaffe ich eine Etage.

 

Nun bestanden meine Tage aus moderatem Sport, etwas Wellness und netten Gesprächen. Nach einer Woche hatte sich herumgesprochen, dass ich nicht zu Besuch eines Großelternteils dort war sondern selbst Betroffene bin. In einer Rehaklinik für Herz-Kreislaufpatienten sind diese in der Regel weit über 50. Ich war mit meinen 28 Jahren also das Küken, was mich aber nicht störte, im Gegenteil.

 

Die Vorweihnachtszeit ist für mich immer die schönste Zeit. Sie in einer Rehaklinik zu verbringen fand ich daher anfangs nicht so toll. Doch schnell habe ich liebe Menschen kennen gelernt. Wir waren eine richtig gute Truppe. Abends hatten wir einen kleinen Stammtisch. Die Herren genossen ihren Rotwein und ich meine Tasse Grünen Tee.

 

An einem Abend in der ersten Woche, ich war kurz vorm Einschlafen, schoss es mir auf einmal durch den Kopf:

 

Du warst tot.

Du warst schon kurzfristig tot.

 

Ich habe mich so erschrocken und musste direkt weinen. Habe die drei Worte aus der Krankenakte wieder vor mir gesehen "überlebter plötzlicher Herztod". Ich wäre also fast nicht mehr gewesen. Was wäre jetzt mit meiner Familie, meinen Freunden?! 

 

So,

und das war das ausschlaggebende Wort:

wäre!

'Also hör auf zu weinen und mach das Beste daraus!

Schließlich bist Du noch da

und vom heulen wird’s nicht besser

- im Gegenteil.'

 

Stimmt,

ich gab ich mir selber Recht, konnte mich beruhigen und direkt schnell einschlafen. 

 

Am nächsten Morgen habe ich aus Eigeninitiative die Psychologin aufgesucht. Mir kam es etwas seltsam vor, wie ich mit der Situation klar gekommen bin. Im Gespräch habe ich ihr alles geschildert und meine Befürchtung, dass das berühmte schwarze Loch doch kommen könnte, erwähnt. Sie lächelte mich nur an und meinte, ich soll alles weiter so laufen lassen, keinen Gedanken an das schwarze Loch verschwenden und wünschte mir direkt alles Gute - sie ginge nicht davon aus mich ein zweites Mal zu sehen. Wie zuvor der Chefarzt sollte auch sie Recht behalten.

 

Die Rehaklinik lag heimatnah. Somit musste ich regelrecht Termine für Besuchszeiten vergeben. Es war wieder einmal sehr schön zu erfahren, wie viele liebe Menschen ich doch um mich herum hatte. 

 

Hier nur einige Beispiele: 

Am Nikolausmorgen hing eine große Tüte mit Süßigkeiten an meiner Zimmertür. Von einer Freundin organisiert, deren Bekannte in der Klinik arbeitete und die diese schöne Geste ausführen konnte. 

An einem anderen Abend hatte ich einen Porzellan-Schutzengel von meinen Kollegen im Postfach

(dieser hat bis heute seinen Platz im Wohnzimmer-Regal). 

Eine Freundin kam am Wochenende um mit mir einkaufen zu fahren, meine Tanten waren regelmäßig zum Wochenendkaffee anwesend und eines Mittags stand mein Chef mit einem Blumenstrauß sowie Neuigkeiten vor mir.

Nicht zu vergessen meine Eltern, die mit so vielen Grüßen, Genesungswünschen und natürlich frischer Wäsche sowie Süßgkeiten im Gepäck, jedes Wochenende auf der Matte standen. Weihnachtsplätzchen von Mama waren besser als jeder Betablocker.

 

In der Mitte der Reha kam kurzfristig etwas Aufregung auf. Ein Patient, der mir gegenüber wohnte, entpuppte sich als Stalker. Es wurden seltsame Zettel unter meiner Tür hergeschoben und ich hatte keine ruhige Nacht mehr. In einer Hauruck-Aktion konnte ich mit Hilfe des Verwaltungspersonals unbemerkt, soweit das mit dem Inhalt von drei Koffern möglich war,  in ein anderes Zimmer ziehen. Zudem wurde darauf geachtet, dass ich nicht gemeinsam mit der Person an einer der Aktivitäten teilnahm. Um evtl. Zusammenkommen während der Essenszeiten zu vermeiden, hatte der pensionierte Kommissar aus unserer Stammtischrunde, die Einwilligung der Klinikleitung vorausgesetzt, beschlossen, dass es besser ist, ich würde im abgetrennten Speiseraum essen. Dort konnte ich meine Mahlzeiten unbeschwert genießen. Es kehrte wieder Ruhe ein - was auch meinem Herzen zu Gute kam.

 

Die vier Wochen vergingen schneller als gedacht und der Abschied von einigen Leidgenossen fiel mir fast schon schwer. Doch ich möchte an dieser Stelle verraten, dass zum "Kommissar" - er wird dieses Jahr 80 - immer noch Kontakt besteht.

 

Am 24.12.2008 bin ich mittags nach Hause gekommen, konnte rechtzeitig alle Geschenke einpacken und mich noch ein wenig ausruhen. Die Bescherung fand bei meinen Eltern im 1. OG statt. Als wäre nie etwas gewesen, bin ich, bewaffnet mit meinen Geschenken - ohne Pause oder Atemnot - oben angekommen. Ich hatte mein vor der Reha gestecktes Ziel erreicht. Doch das allergrößte Geschenk war das Weihnachtsfest mit der kompletten Familie.