Sommer im Krankenhaus ist nicht so eine schöne Erfahrung. Erst recht nicht, wenn es keine Klimaanlage gibt und die Zimmer sich stark aufheizen. Schlimmer war es aber, dass aufgrund des schwachen Herzens, meine Nieren es nicht mehr ganz geschafft haben die komplette Flüssigkeit, die ich über den Tag zu mir genommen habe, wieder aus meinem Körper zu transportieren. Soviel hätte ich trotz aufgeheiztem Zimmer nicht ausschwitzen können. Es wurde eine Trinkmengenreduzierung angeordnet, ich durfte maximal 900 ml trinken und musste täglich Ein- und Ausfuhr bilanzieren. Mittags habe ich mir fast tägl. ein Eis gegönnt, direkt 110 ml verbraucht. Zwischendurch konnten Eiswürfel etwas Abhilfe schaffen. Allerdings entwickelt man erst recht einen unwahrscheinlichen Durst, wenn man weiß, man darf nicht viel trinken. Ein Glück, dass sich nach 2-3 Wochen die Nierentätigkeit etwas gebessert hat und ich wieder mehr trinken durfte.
Das wiederum wurde mir direkt nach einem Kontroll-Herzkatheter zum Verhängnis. Mit Druckverband um die Leiste spürte ich innerhalb der 4-stündigen Bettruhe zusätzlich einen Druck in der Blase. Eine Schwester brachte mir kurz die Bettpfanne. Als ich wieder klingeln wollte fiel mir die Klingel mit Krach auf den Boden. Nun habe ich da gelegen, Bettpfanne unterm Po, Klingel unterm Bett und ausnahmsweise mal keine Bettnachbarin. Das Pflegepersonal war täglich stark eingespannt und von selbst kam eigentlich selten jemand auf die Idee verteilte Bettpfannen unaufgefordert wieder einzusammeln. Was blieb mir also anderes übrig als die Elektroden vom EKG abzuziehen.... so schnell war bisher noch nie jemand gekommen um die Pfanne wieder abzuholen. Es tat mir schon leid, dass ich kurzfristig einen Schock verbreitet habe, schlussendlich konnten dann aber alle lachen.
Bis zum nächsten Schreck dauerte es etwas. Eines nachts wurde ich auf einmal sehr unsanft aus dem Schlaf gerissen. Es war laut, ich hörte jemanden schreien und beim Öffnen der Augen stand die Nachtschwester vor meinem Bett. Sie sagte nur irgendetwas von "der Defi hat ausgeschlagen" ins Telefon. Meine Bettnachbarin saß mit weit aufgerissenen Augen auf ihrer Bettkante. 'Ach herrje, die Arme, das muss ja ein ordentlicher Schock gewesen sein', dachte ich zuerst.... als mir dann klar wurde, 'Moment, sie hat doch gar keinen Defi'. Als ich mich wieder hinlegen wollte, habe ich einen ziemlich starken Druckschmerz im Brustbereich gespürt. Es war mein Defi, der ausgeschlagen hat. Während ich geschlafen habe ist es zu lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen gekommen. Durch den Elektroschock hat mein Herz wieder zu seinem - wenn auch nach wie vor unregelmäßigen - Rhythmus zurück gefunden. Eingeschlafen bin ich trotz Schmerzen relativ gut, wusste ich ja jetzt, dass mein Schutzengel funktioniert.
Neben den ganzen unangenehmen Situationen, die so ein Krankenhausaufenthalt mit sich bringt, gab es aber auch oft etwas zu Lachen. Sei es mit dem Personal, den verschiedenen Bettnachbarinnen und natürlich meinen ganzen Besuchern. Es war schon sagenhaft. In der ganzen Zeit (es waren bis zur Entlassung ca. 170 Tage) hatte ich vielleicht an 20 Tagen keinen Besuch. Mein damaliger Freund Stefan wohnte nur eine halbe Stunde von Heidelberg entfernt. Er hat mich oft im Krankenhaus besucht, war jeden zweiten Tag bei mir, hat meine Wäsche gewaschen und mich mit Essen und Trinken versorgt, wenn ich mal wieder Appetit auf Hausmannskost hatte. Während der ganzen Zeit war er mir eine sehr große Stütze, was, wie ich von anderen Mitpatientinnen erfahren musste, keine Selbstverständlichkeit ist.
Eine liebe Freundin, Mirja, die ebenfalls eine halbe Stunde von Heidelberg entfernt lebt, hat u. a. für kulinarische Highlights gesorgt. Nicht selten kam eine Schwester oder ein Pfleger mit einem Fax (das Smartphonezeitalter war gerade erst im Anfangsstadium) in der Hand in mein Zimmer. Dort war üblicherweise die Speisekarte eines unserer Lieblingsrestaurants abgelichtet. Mirja hat meine Bestellung entgegen genommen und kam später mit einer riesigen Warmhaltebox vorbei. Die Restaurants wussten über alles Bescheid und so konnte ich, Dank der genannten Box, immer warmes Essen genießen. In weiser Voraussicht, welche Gerichte nach der Transplantation tabu sind, habe ich vorzugsweise diese gewählt.
Trotz der großen Distanz zu meinem Heimatort – fast 400 Kilometer – hatte ich so viel Besuch aus der Heimat, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Jeder einzelne war auf seine Art schön. Der Abschied fiel dann oft sehr schwer, gerade, wenn meine Eltern für 2 Tage dort waren. Doch auch die Tage ohne Besuch vergingen schnell. So viele Karten und Pakete, Telefonate und E-Mails haben die Stunden verkürzt und mir gezeigt, wie viele liebe Menschen an mich denken. Ich war überwältigt. Die Fensterputzer jedoch traf beinahe der Schlag. Diese haben nicht schlecht geschaut als sie mein Fenster entdeckten. Abgesehen von meinen Vorrats- und Kleiderkisten, die auf der Fensterbank standen, bis zum Schrank kam ich mit meiner ZVK-Laufleine ja nicht, wurde jede einzelne Karte von mir an die Sprossen geklebt. Das nahm dem Zimmer etwas von der sterilen Optik und brachte mir jedes Mal beim Betrachten das Gefühl von Freude ein. Es gibt einem unwahrscheinlich Kraft zu wissen, wer alles an einen denkt.
Abwechslung haben auch die Bettnachbarinnen gebracht. Besonders in Erinnerung ist mir "meine Eva" geblieben. Uns trennten ganze 62 Jahre. Doch haben wir uns auf Anhieb sehr gut verstanden. 10 Tage war sie bei mir. Hat mir täglich von ihrem bewegten Leben erzählt. Geboren 1918, die Kindheit in Brasilien verbracht, den Krieg in Deutschland überlebt. Leider weiß ich nicht, ob sie ihren 100. Geburtstag feiern durfte.
Mit anderen besteht noch heute Kontakt.
Es ist schön zu sehen, wie sie ihre neuen Leben leben,
welche Möglichkeiten genutzt und
wie viele schöne Momente wahrgenommen werden können.