Neben der großen Unterstützung, die ich erfahren habe, nahm mich meine Krankheit jedoch immer enger in den Griff.
An einem Sonntag, es war wieder besonders heiß draußen und ich hatte trotz Sauerstoffunterstützung starke Luftnot, kam mir kurzzeitig der Gedanke:
'Was ist, wenn Du es doch nicht schaffst?'
Ich habe mich aufgerafft und bin im Kopf einige Dinge durchgegangen. Habe für mich Wichtiges aufgeschrieben, ein paar Texte für den Fall der Fälle vorbereitet, alles in einen Umschlag gepackt und ins untere Fach meines Nachtschränkchens verstaut. Seltsamerweise hat mich diese Handlung beruhigt - der Gedanke, es nicht zu schaffen, kam nie wieder.
Die folgenden Wochen waren, rückblickend gesehen, ein langsames bergab. Das Legen der vielen Venenkatheter verlief zusehend schlechter. Ich entwickelte eine Pflasterallergie, hatte richtige Wasserblasen auf der Haut und die Einstichstellen des Venenkatheters konnten nicht mehr richtig abgeklebt werden. Das hatte zur Folge, dass eine Blutvergiftung entstand, die zum Glück schnell erkannt und behandelt wurde.
Dann stand mal wieder ein ZVK-Wechsel an. Dieser wurde nach fast 2 Std. erfolglos abgebrochen. Doch musste das Dauermedikament (Dobutrex) irgendwie in meinen Körper. Was blieb anderes übrig als es über einen Zugang im Arm zu versuchen. Einige Stunden ging das gut, bis der Arm ganz dick wurde und höllisch weh tat. An Schlaf war in der Nacht nicht mehr zu denken. Am nächsten Tag hat der Oberarzt sein Glück versucht. Mit den Worten „Gott, meine Nerven” hat er es nach über einer Stunde geschafft und der ZVK war drin. Wir waren alle fix und fertig. Was soll das erst in 10-14 Tagen geben, wenn der nächste Wechsel ansteht?
Den Gedanken vorerst beiseite geschoben, habe ich mich lieber auf meine Besucher konzentriert. Mirja hatte sich angekündigt und wir hatten zwei schöne Stunden. Beim Abschied musste ich sie seltsamerweise noch einmal zu mir rufen und ein zweites Mal fest drücken.
Abends habe ich mit meiner besten Freundin telefoniert. Ellen war damals bei meinem Herzstillstand anwesend und musste mit anderen Freundinnen alles mit ansehen. Wir haben jedenfalls etwas rumgesponnen. Am Wochenende stand in der Heimat das alljährliche Stadtfest an. Auf diesem hatten wir im Vorjahr noch getanzt, u. a. zu Dirty Dancing. Wir haben vereinbart, dass wir im nächsten Jahr die berühmte Hebefigur nachspielen werden und diskutieren gerade, wer welchen Part übernimmt, als sich meine Zimmertür öffnete. Ein mir unbekannter Arzt sowie die diensthabende Schwester kamen herein. Aha, stimmt doch etwas mit der Gerinnung, war mein erster Gedanke. Es standen nämlich noch Laborwerte aus und meine tägliche „Thrombosespritze“ wurde mir an diesem Abend nicht verabreicht. Mit den Worten 'warte mal kurz' habe ich Ellen „zur Seite gelegt“. Ein leicht genervtes ’Was ist denn?' ging in Richtung Arzt. 'Guten Abend Frau Karlheim, ich bin ....... aus der Chirurgie, wir haben ein passendes Herzangebot für sie.'
Sein Gesichtsausdruck bei meiner Reaktion 'Sie wollen mich wohl verarschen' werde ich nie wieder vergessen.
Er erklärte mir, dass mich in ca. einer halben Stunde der Rettungsdienst abholen wird, wir gemeinsam in die Chirurgische Klinik fahren werden und die Transplantation vorgenommen wird. Ich konnte es nicht glauben. Habe nochmal nachgefragt, wir müssen ja schließlich noch die letzten Tests abwarten. Nein, es wird definitiv mein Herz, versicherte er mir.
Wahnsinn,
das Warten hat tatsächlich ein Ende.
Es geht los.
Ich hatte Ellen ganz vergessen. Sie war währenddessen nach wie vor am Handy und hat alles mit angehört. 'Ok, hast Du gehört? Es geht los, ich muss dann jetzt erstmal Schluss machen........... bis bald'. Es war ein komisches Gefühl. Als wir aufgelegt haben und sie, um sich abzulenken, den Fernseher eingeschaltet hat lief: Dirty Dancing.
30 Minuten sind wahnsinnig kurz, wenn man sich von seinen Eltern und Partner verabschieden muss. Zuerst habe ich zu Hause angerufen, Papa war dran. Ich konnte nur sagen, ‘Papa, Papa, es ist da, es geht los` und dann kamen mir die Freudestränen ins Gesicht geschossen. Er hat direkt auf laut gestellt, so konnte Mama auch mithören. Wir haben uns einfach nur gefreut. Nach dem Gespräch mit meinen Eltern habe ich Stefan angerufen. Er konnte es ebenfalls erst gar nicht fassen. Wir haben alles Organisatorische besprochen und schon musste ich meine Sachen zusammen packen.
Nach fast drei Monaten, gefesselt an Monitor und Perfusor, ging es also los. Dass ich diesen Weg alleine gehen werde und mich nicht mehr persönlich von meinen Lieben verabschieden konnte, wusste ich vorher. Angst hatte ich keine. Es überwog das Glück, dass ES jetzt passiert.
In der Chirurgie angekommen erfolgte die Narkoseaufklärung und diverse Vorbereitungen. Es ging zum OP. Dann die Nachricht, dass das Entnahme-Team noch etwas länger für den Rückweg benötigt. Wieder zurück aufs Zimmer. Warten. Warten. Warten. Bis ich ein zweites Mal abgerufen wurde und es wirklich los ging.
Im OP-Vorbereitungsraum hab ich auf die große runde Uhr gesehen und mein letzter Gedanke war: Wenn ich mit einem Beatmungsschlauch im Mund wieder wach werde, habe ich es geschafft!
Dann bin ich „eingeschlafen“.
Heidelberg September 2011
- der kleine Schutzengel von meiner besten Freundin Ellen
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Birgit (Freitag, 25 Oktober 2019 18:50)
Sehr geehrte frau milena ich freue mich sehr darüber dass sie ein spenderherz bekommen haben . wüerden sie mir bitte schreiben an welchem datum sie es bekommen haben . mein sohn ist september 2011 mit 26 jahren verstorben und hat 6 organe gespendet darunter auch sein gesundes starkes herz, vielen dank! viele grüsse birgit