Aus aktuellem Anlass (die liebe Luisa hat seit über einer Woche ihr neues Herz und ich freue mich so sehr für sie) habe ich mir überlegt diesen Beitrag einzufügen. Es handelt sich eher um eine kleine Zusammenfassung der ersten Zeit nach der Herztransplantation.
Es war nicht alles rosig nach der HTX. Die erste Zeit auf der Intensivstation denkt man, dass die Schmerzen im Brustkorb nie zu enden scheinen. Nachts liegt man wach und freut sich, wenn man vielleicht ein bis zwei Stunden am Stück schlafen kann. Irgendwie ist man gefangen im eigenen Körper. Möchte sich bewegen, einfach mal nicht mehr auf dem Rücken liegen. Ich habe dieses Rückenliegen gehasst. Dann musste ich an Menschen denken, die es viel schlimmer getroffen hat, z. B. Querschnittsgelähmte und kam mir auf einmal so lächerlich vor. Es war gefühlt trotzdem ein kleiner Segen, wenn das Pflegepersonal einem eine zweite Bettdecke in den Rücken stopfte, man sich etwas seitlich legen und nicht mehr nach hinten kippen konnte. Diese Maßnahme brachte mir die ersten vier Stunden Schlaf am Stück ein.
An die unwahrscheinlich heißen Füße kann ich mich ebenfalls noch gut erinnern. Teilweise dachte ich, sie stehen in Flammen. Mein Blutdruck unter dem alten Herz lag zuletzt bei 90/60 an manchen Tagen sogar eher bei 80/50, das war ok für mich, ich hatte mich daran gewöhnt. Kalte Füße, teilweise blaue Finger und Lippen. Dann, zack, plötzlich ein Blutdruck wie aus dem Bilderbuch. Wodurch auch in die äußersten Körperspitzen Blut gepumpt wurde. Ein komplett neues Gefühl.
Durch mein Nierenversagen wurde einiges beschwerlicher und die Genesung dauerte länger. Doch ich hatte immer meinen Vater vor Augen und seine Worte im Ohr, "das erste halbe Jahr ist das nun mal so, es wird aber von Woche zu Woche besser“. Wir sind nicht die einzigen mit diesem Schicksal - bisher haben es viele geschafft und überstanden. So war es natürlich auch bei mir, auch wenn einem der Weg bis dahin manchmal unendlich erscheint. Letztendlich war ich natürlich mehr als froh, ein gutes Herz transplantiert bekommen zu haben, absolut keine Frage. Dass ich nun an die Dialyse gefesselt war, habe ich dafür gern, ja, zu dem Zeitpunkt wirklich gern, in Kauf genommen. Hauptsache raus aus dem Krankenhaus, raus aus der Rehaklinik, rein ins neue Leben.
Die erste Zeit nach der Transplantation war eine Neuorientierung. Die vielen neuen Medikamente konnte ich aber nach einer gewissen Zeit auseinander halten. Als Starthilfe habe ich sämtliche Einnahmezeiten, Insulinmessungen und Thrombosespritzen (die ich mir im ersten Jahr aufgrund notwendiger Thrombektomien während des stationären Aufenthaltes verabreichen musste) als Wecksignal in mein Handy eingegeben. Gefühlt klingelte es alle zwei Stunden, aber so hatte ich alles im Überblick.
Mit den Hygienebedingungen habe ich mich frühzeitig auseinander gesetzt. Ich konnte nur bewaffnet mit kleiner Steriliumflasche und Mundschutz unter Menschen gehen. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Einige sagten sofort, “alles Gute” oder “herzlichen Glückwunsch”. Andere zogen die Nase kraus und sind zum Beispiel nicht gemeinsam mit mir Fahrstuhl gefahren. Erst bin ich damit nicht so gut zurecht gekommen, doch nun mache ich mir manchmal einen Spaß daraus und huste erst recht. Natürlich nicht, wenn Kinder dabei sind. Kinder bekamen nämlich auch so schon oft große Augen. Einige Eltern haben ihren Kindern sofort erklärt, dass ich krank bin und mich schützen muss. Andere aber rissen ihr Kind am Arm und gingen schleunigst davon.
Im Restaurant musste ich Spezialbestellungen aufgeben. Am besten ist es, wenn man das Thema direkt anspricht, einfach keine Scheu haben. Ich bin bisher immer auf Verständnis gestoßen und es gab nie Probleme. Getränke ohne Eis und Zitrone, am besten direkt aus der Flasche. Das Essen musste keimarm sein, durfte also keine rohen Lebensmittel enthalten. Auf frische Kräuter, Salat sowie Meerestiere wurde vorerst ganz verzichtet. Doch das war für mich nie ein Problem.
Das erste Jahr nach der Transplantation ist aus hygienischer Sicht das strengste. Nach und nach können einige Vorsichtsmaßnahmen je nach Absenkung der Immunsuppressiva-Spiegel gelockert werden. Andere wiederum bleiben lebenslang bestehen. In Arztpraxen und Krankenhäusern werde ich immer Mundschutz tragen und ohne eine kleine Steriliumflasche in der Handtasche verlasse ich nie das Haus. Menschenmengen in geschlossenen Räumen werden weitgehend gemieden, gerade im Winter, wenn die Erkältungswellen Hochkonjunktur haben. In der Familie und im Freundeskreis war schnell bekannt, dass jeder, der erkältet ist, einen großen Bogen um mich herum macht bzw. nicht zu mir in die Wohnung darf. Auf Feiern bin ich teilweise mit Mundschutz und meinem eigenem Becher für die Getränke erschienen. Auch das war und ist kein Problem. Wichtig ist auch hier das Zugehen auf die Mitmenschen. Einmal erklärt, weiß jeder Bescheid und Unsicherheiten werden genommen. Der Umgang miteinander wird so für beide Seiten einfacher und mit der Zeit ganz normal. Man gewöhnt sich an alles bzw. vermisst manches einfach nicht mehr. Ok, bis auf frische Erdbeeren, die vermisse ich jeden Frühsommer aufs Neue. Fällt in meinen Augen aber definitiv unter „Jammern auf hohem Niveau". Ebenso wie das Leiden unter dem "Mondgesicht", das man aufgrund der hohen Kortisongaben bekommt. Teilweise war es schon etwas schmerzhaft und spannte sehr. Es war zudem ratsam seinen Mitmenschen vor der ersten Begegnung eine kleine Vorwarnung bezüglich des „Kürbiskopfs“ zu geben. Doch merke ich immer, wie gut es mir eigentlich gesundheitlich geht, sollten die Äußerlichkeiten mehr Gewicht erlangen. Nachdem das Kortison nach einem halben Jahr ausgeschlichen wurde, die Dosis darf nie abrupt beendet werden, sieht man wieder so aus wie vorher. Vorausgesetzt, man hält den Heißhungerattacken, die ebenfalls dem Kortison geschuldet sind, stand. Bei mir hielten sie sich aufgrund des Diabetes und der zu beachtenden kalium- und phosphatarmen Dialysekost komplett fern.
Abstoßungen hatte ich bis heute nicht. Das Spenderherz stimmt so gut mit meinem Gewebe überein, dass ich sogar nur eine relativ geringe Menge Immunsuppressiva einnehmen muss. Dennoch hat mein Körper eine zeitlang so stark darauf reagiert, dass kurzfristig der Verdacht einer Leukämie im Raum stand, der zum Glück nicht bestätigt wurde.
In den ersten beiden Jahren gab es ein ständiges Auf und Ab, das ist aber nicht ungewöhnlich. Es braucht schließlich alles seine Zeit. Man darf nur nicht die Geduld mit sich selbst und mit den Ärzten verlieren. Das neue andere Leben besteht eben aus vielen Stunden im Wartezimmer bei all den verschiedenen Ärzten (an dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass die Zeitungen in Arztpraxen, die im Wartebereich ausliegen, am besten überhaupt keine Beachtung finden). Ein Hauptteil hat bei natürlich die Dialyse eingenommen. So ist das eben als Vollzeitkranke.
Doch ging der größte Teil des Lebens auf das Konto für Glück und Freude. Meine erste Fahrradtour habe ich zehn Monate nach der Herztransplantation gemacht. Es war ein ganz toller Tag, der mir immer in Erinnerung bleiben wird. Mit meiner Mutter bin ich rund um meinen Heimatort geradelt als wäre nie etwas gewesen. Der Fahrtwind war einmalig und die Natur so wunderschön. Mir ist es immer wieder gelungen mir meine Freiheiten zu nehmen. Natürlich niemals leichtfertig und immer in Rücksprache mit meinen Ärzten.
Was war es für ein wahnsinniges Gefühl ein Jahr nach der Herztransplantation im Mittelmeer zu stehen!!? Fantastisch. Es war egal, dass ich aufgrund des Demers-Katheters mit Shirt im Wasser stand. Die ersten Tage bin ich aufgrund Lichtschutzfaktor 50+ (als Immunsuppremierte steigt das Hautkrebsrisiko enorm) kalkweiß mit Hut, langem Shirt, Hose und Sonnenbrille getarnt herum gelaufen. Es war mir komplett egal, wer wie schaute oder was gedacht wurde. Ich habe mich so frei wie noch nie meinem Leben gefühlt. Endlich richtig durchatmen. Die zwei Wochen auf Mallorca waren ein Traum auch wenn dreimal die Woche Dialyse anstand und ich die letzten beiden Tage in der Klinik in Palma verbringen musste. Das hatte jedoch nichts mit dem Urlaub an sich sondern viel mehr mit dem CMV-positiven Herztransplantat zu tun (CMV = Cytomegalie-Virus). Aufgrund dessen, dass ich negativ und das Herz positiv war, kam es zu höheren Fieberschüben. Nach der Landung in Frankfurt ging es direkt nach Heidelberg in die Klinik und nach weiteren 14 Tagen war wieder alles im grünen Bereich.