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Reha 2.0

Die Rehaklinik lag auf dem 'Königstuhl' in der Nähe von Heidelberg. Eine etwas mysteriöse Umgebung, wenn man mich fragt, zumindest zu der Jahreszeit. Weit und breit nichts außer Nebelschwaden und dunkler Wald - mir Schoss direkt die  'Fernet Branca'-Werbung durch den Kopf. 

 

Mit Hilfe von Stefan habe ich mein Einzelzimmer mit riesigem Balkon direkt über dem Eingang bezogen. Ich hätte es wahrlich schlimmer antreffen können. Der seltsame Geruch wurde dadurch jedoch nicht erträglicher. Wobei ich bis heute nicht weiß, ob dieses Empfinden nicht meinen ganzen Medikamenten geschuldet war. Honigbrot schmeckte zu dem Zeitpunkt schließlich auch eher nach einer Leberwurststulle und Schokolade sowie Milch hatten leicht etwas von faulen Eiern. Mein Leben lang habe ich immer gerne gegessen, doch wenn man Geschmacksverirrungen sowie einen hohen Diabetes (aufgrund des Kortisons) hat und auf keim-, kalium- und phosphatarme Ernährung achten muss, bleibt der Spaß am Essen etwas auf der Strecke.

 

Die Zeit in der Reha war anfangs nicht nur aus Sicht der Ernährung anstrengend für mich. Morgens sehr früh zur Blutabnahme, frühstücken und über den Tag bzw. bis zum Mittag diverse gesundheitsfördernde Aktivitäten. Nach dem Mittagessen stand für mich montags, mittwochs und freitags direkt das Taxi parat. Ich musste ja weiterhin runter zur Dialyse in die 'Nierenklinik'. Der Weg war sehr kurvenreich und je nach Taxifahrer entsprechend mehr oder weniger schmerzhaft. Mein Brustkorb war immer noch sehr empfindlich.

 

Wie gesagt, handelte es sich um die Dialyseabteilung in der Klinik für Nephrologie und die meisten Mitpatienten waren sehr schwer erkrankt. Das war mir schon bewusst, aber als an einem Tag die Patientin neben mir einen Herzstillstand erlitten hat, war ich kurzfristig etwas überfordert. Sie konnte zum Glück ganz schnell reanimiert werden, war sofort wieder wach und meinte nur: 'oh, irgendwie war mir gerade komisch'. .....  Ja, das konnte ich mir denken. 

 

Von Natur aus bin ich ein Mensch, der fast lieber eher selber leidet als andere leiden zu sehen. Das hört sich komisch an, war und ist aber schon immer so gewesen. Mit meinem eigenen Leid kann ich schließlich umgehen. Wobei ich es gar nicht als richtiges Leid empfinde sondern als Herausforderung, der ich mich stellen muss und werde.

 

Eine ganz andere Herausforderung war es, wenn jemand  die Bettpfanne einforderte. (Achtung, es wird etwas ekelig). Bei oftmals bis zu 8 - meist ältere - Patienten kommt das innerhalb von 6 Stunden nicht gerade selten vor. Es ist ja schön, wenn die Verdauung funktioniert, aber muss das denn immer während der Blutwäsche sein - bei Minusgraden draußen? Das Raumspray konnte die Situation nicht wirklich entschärfen. Somit musste ich mich einfach wieder gedanklich weg beamen. Das hatte ich mir bereits während der Zeit als mir die ZVKs gelegt wurden antrainiert. 

 

Nach den Dialysen war die Cafeteria bereits geschlossen und ich habe das Abendbrot auf meinem Zimmer vorgefunden. An den Abenden bin ich oftmals eh nicht mehr all zu lange auf den Beinen geblieben. An den anderen war ich dafür umso munterer. Mit meiner lieben Mitpatientin und weiteren tollen Menschen, die wir dort kennenlernen durften, hatten wir eine Menge Spaß. 

 

Kurz vor meiner Entlassung ist meine wunderbare Physiotherapeutin vorbeigekommen. Wir sind zum Weihnachtsmarkt gefahren. Es war so schön. Als wir uns Kinderpunsch geholt haben ist mir direkt der Henkel der Tasse ins Auge gefallen - es war ein Herz. Wir haben sie als Andenken mitgenommen und immer, wenn ich aus ihr trinke, muss ich an das Lied: 'ich hab mein Herz in Heidelberg verloren' denken, welches meine Mitpatientin und ich, während der musikalischen Abendbelustigung in der Reha, laut und freudestrahlend mitgesungen haben.

 

Die Wochenenden waren immer schön. Stefan hat sich von freitags bis sonntags bei mir einquartiert, auf einer Art Pritsche. Tagsüber sind wir spazieren gegangen. An einem Tag ging es auch mal in die City und zum Schloss. Ich war zwar über 5 Monate in Heidelberg, aber kannte nur diverse Kliniken. Als wir vom Schloss auf die Stadt und den Neckar herunter geschaut haben hatte ich direkt das Gefühl, dass die Welt mit zu Füßen liegt. Ich habe mich so sehr gefreut auf die ganzen Möglichkeiten und Vorhaben, die ich durch mein neues Herz erleben werde. Mit gesunden Nieren wären sie vielleicht etwas einfacher umzusetzen, aber es muss auch trotz Dialyse gehen - das habe ich mir fest vorgenommen.

 

Der Tag war gewinnbringender als alle Reha-Maßnahmen zusammen.