Im Oktober 2014 war es endlich soweit. Meine letzte Dialysesitzung. Auf der einen Seite habe ich mich sehr gefreut, auf der anderen Seite war ich tief traurig. Papa saß mir gegenüber und bei dem Gedanken daran, ihn zurücklassen zu müssen, kommen mir auch heute noch die Tränen. Es war schlimm für mich, dass ich mich nicht mehr um in kümmern konnte und er nun allein zur Dialyse fahren musste. Er wollte sich nach meiner Nierentransplantation listen lassen. Ein sehr kleiner Trost, der dieses schreckliche Gefühl, ihn im Stich zu lassen, nicht wirklich gemindert hat.
Doch ich musste vorrangig daran denken die Transplantation gut über die Bühne zu bekommen, dass war ich Mama und Papa schuldig. Sie würden sich dann beide nicht mehr so sehr sorgen müssen. Es war bei uns immer ein kleiner Teufelskreis. Papa machte sich Sorgen um mich, ich mir Sorgen um Papa und Mama um uns beide. Vor der Operation hatte ich natürlich große Sorgen, dass Mama etwas passieren könnte. Sie allerdings winkte ab und sagte, "so ein Quatsch, das wird."
Wir bekamen ein Doppelzimmer in der Medizinischen Hochschule Hannover. Fühlte sich ein bisschen wie Urlaub an, allerdings war ich doch ziemlich angespannt. Am OP-Tag wurde Mama vor mir abgeholt. Es war ein komisches Gefühl als sie schon im OP war und ich noch warten musste. Die Minuten fühlten sich wie Stunden an. Die Tür ging endlich auf und es war auch bei mir so weit.
Seit jeher lasse ich mich vor Eingriffen nicht sedieren, die sogenannte „Scheißegal-Tablette“ lässt einen immer so dahin dümplen. Das mag ich gar nicht. Ich bin lieber bei klarem Verstand. Meine Kontaktlinsen kann ich dadurch bis zuletzt tragen. Bei um die -11 Dioptrien ist es sehr unangenehm quasi blind in den OP geschoben zu werden.
Den Chirurgen, der Mama operiert hat, konnte ich somit direkt erkennen. Er kam auf mich zu und meinte strahlend, es sei alles super verlaufen. Mama würde gerade zugenäht. Sie hat mir eine super Niere geschenkt, die er direkt 20 Jahre jünger geschätzt hätte.
An dieser Stelle,
DANKE MAMA,
für Deine jahrelange gesunde Lebensweise, kein Nikotin, kaum Alkohol, gesunde Ernährung und Sport.
Mit dem beruhigenden Gefühl, dass Mama die OP gut überstanden hat, wurde ich in den OP-Saal geschoben. Es hört sich vielleicht komisch an, aber diese Sekunden, wenn die Narkose so langsam wirkt, ich mag sie irgendwie sehr gerne. Es wurde mal wieder dunkel in meinem Leben...
… und schon das Piepen und die mittlerweile vertrauten Geräusche der Intensivstation. Irgendwer saß an meiner Bettkante. Ah, ok, der Arzt macht direkt eine Sonographie von Mamas Niere. Er ist sehr zufrieden und verkündet, dass sie bereits super arbeitet. Ich hätte schon 300 ml Wasser gelassen. Was? Na, das ging ja flott. Meine Freude war riesig, es war unbeschreiblich.
Am nächsten Tag durfte Mama mich besuchen, zu ihrem Leidwesen im Rollstuhl. Sie hatte sich schon zu Fuß auf den Weg von Normalstation auf Intensiv gemacht als sie vom Krankenpfleger eingefangen und in den Rollstuhl verfrachtet wurde. Nun konnten wir uns beide über das tolle Ergebnis freuen. Wir waren völlig aus dem Häuschen.
Nach drei Tagen wurde ich auf die Normalstation zu Mama zurückverlegt. Das erste Frühstück dort war für mich gigantisch. Joghurt und Müsli, Vollkornbrot mit Käse, Obst und das Beste: Kaffee und Saft soviel ich wollte. Anfangs habe ich mich gar nicht getraut diese ganzen - vor einer Woche noch gefährlichen - Lebensmittel zu mir zu nehmen. Ich konnte es einfach nicht begreifen, dass ich auf so gut wie nix mehr achten musste. Ok, keimarm musste die Ernährung nach wie vor sein, aber das war ein Witz gegenüber der Verbote als Dialysepatientin.
Die erste Zeit hatte ich mit starken schmerzenden Hämatomen vom Bauch über Oberschenkel bis zum Knie zu kämpfen. Habe das aber gern in Kauf genommen für die erfolgreichen Ergebnisse der Niere. Teilweise musste ich sogar aufpassen, dass ich es rechtzeitig zur Toilette schaffte. Drei Jahre lang konnte ich max. drei - vier mal tgl. 250 ml lassen. Die Blase musste regelrecht trainiert werden, was zum Glück gut funktioniert hat.
Nach acht Tagen wurde Mama entlassen. Ich habe am Fenster gestanden und ihr zugewunken als sie ins Taxi stieg. Mit dem ersten Sonographiebild unserer Niere in der Hand kamen mir die Tränen vor Glück. Zur Beobachtung blieb ich noch ein paar Tage länger. Am nächsten Tag stiegen die Nierenwerte auf unerklärlicher Weise rapide an. Es kam der Verdacht einer Abstoßung auf.
Sollte mein Körper Mamas Geschenk tatsächlich nicht annehmen?